"Fiktives Einkommen"
Viele Unterhaltsschuldner und -gläubiger haben diesen Begriff schon einmal gehört. Doch wie und wann erfolgt eine Zurechnung fiktiven Einkommens? Hier ein erster Überblick:
Jeden Unterhaltsschuldner trifft eine Erwerbsobliegenheit, d.h. er muss seine Arbeitskraft im Interesse des Unterhaltsberech- tigten so gut wie möglich einsetzen. Diese Erwerbsobliegen- heit gilt bei Unterhaltsschuldnern, die ihren minder- jährigen Kindern den Mindestunterhalt schulden, im verstärkten Maße.
Eine Zurechnung fiktiven Einkommens kann allerdings auch auf Seiten des Unterhaltsgläubigers erfolgen, so z.B., wenn ein Ehegatte aufgrund fehlenden eigenen Erwerbseinkommens Trennungsunterhalt geltend machen will, er aber bei bestmöglichem Einsatz seiner Arbeitskraft ein Einkommen erzielen könnte, durch das er nicht mehr bedürftig wäre.
Ein Verstoß des Unterhaltsschuldners/-gläubigers gegen diese Erwerbsobliegenheit kann zur Zurechnung fiktiven Einkommens führen, d.h. demjenigen, der seine Erwerbsobliegenheit nicht erfüllt, kann ein Einkommen unterstellt werden, das bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielt werden könnte. Die Höhe dieses - fiktiven - Einkommens richtet sich unter anderem nach Alter, Vorbildung, Berufserfahrung und Fähigkeiten.
Die Anforderungen der Rechtsprechung sind recht überspannt, so dass bei einem geringen Einkommen bzw. bei einer (gut bezahlten) Teilzeitstelle teilweise erwartet wird, dass der Unterhaltsschuldner/-gläubiger sich eine besser bezahlte Stelle bzw. eine Vollzeitbeschäftigung sucht. Selbst ein Berufs- bzw. Arbeitsplatzwechsel oder auch ein Wohnortwechsel kann daher u.U. erwartet werden.
|
Wann darf nun aber eine Zurechnung fiktiven Einkommens nicht erfolgen bzw. wie kann man dem vorbeugen:
Eine Einkommensfiktion darf dann nicht erfolgen, wenn auch bei ausreichenden Erwerbsbemühungen keine reale Beschäftigungschance besteht. Dieses Argument greift allerdings nur in engen Ausnahmefällen ein, so z.B. bei Erkrankungen wie Epilepsie.
Eine Möglichkeit, der Zurechnung fiktiven Einkommens zu entgehen, besteht darin, dass die ausreichenden Erwerbsbemühungen nachgewiesen werden. An den Nachweis stellt die Rechtsprechung allerdings sehr hohe Anforderungen. So werden bei einem arbeitslosen Unterhaltsgläubiger/-schuldner etwa bis zu 20 - 30 Bewerbungen monatlich erwartet. Das OLG Jena hat in seiner Entscheidung vom 11.03.2005 (Az: 1 UF 391/04) ausgeführt, dass von dem Arbeitssuchenden grundsätzlich der für eine vollschichtige Erwerbstätigkeit notwendige Zeitaufwand verlangt werden könne, sodass 20 ernsthafte Erwerbsbemühungen im Monat vorauszusetzen seien. Eine bloße Meldung beim Arbeitsamt genügt jedenfalls nicht. Die Bewerbungsbemühungen müssen ernsthaft sein und sind ggf. auch überregional auszuweiten. „Blindbewerbungen", also solche, die abgegeben werden ohne Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitgeber überhaupt eine Arbeitskraft sucht, sind alleine nicht ausreichend. Hier ist dringend empfehlenswert, dass die entsprechenden Bewerbungsbemühungen sorgfältig dokumentiert werden.
Trotz zahlreicher Entscheidungen der Gerichte zu diesem Thema, wird auch in Zukunft eine Prüfung im jeweiligen Einzelfall erforderlich sein, ob und in welcher Höhe fiktives Einkommen zugerechnet werden kann. |